Start Andalusien Palomares 50 Jahre nach Atomunfall: Spanien und USA einigen sich

Palomares 50 Jahre nach Atomunfall: Spanien und USA einigen sich

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Fast 50 Jahre nach dem Unfall des bewaffneten Langstreckenbombers der US-Luftwaffe über der spanischen Mittelmeerküste haben sich am Montag USA und Spanien auf eine weitere Sanierung der radioaktiv belasteten Absturzzone geeinigt. US-Außenminister John Kerry und der spanische Außenminister Jose Manuel Garcia-Margallo unterzeichneten die Vereinbarung für ein verbindliches Abkommen zur Säuberung der betroffenen Region und Lagerung der kontaminierten Erde in den USA. Das Abkommen liefert die Grundlage für das weitere Vorgehen im Umgang mit den radioaktiv verseuchten Rückständen des Nuklearunfalls von Palomares. Bei dem strahlenden Material handelt es sich vor allem, um rund 1.400 Tonnen an belastetem Erdreich, die in einer geschützten Deponie noch immer auf spanischem Boden liegen.

Hintergrund

Zu Zeiten des Kalten Krieges starteten die Amerikaner 1960 die Operation „Chrome Dome“. Täglich flogen rund um die Uhr bis zu zwölf mit thermonuklearen Bomben bewaffnete B-52 Stratofortress-Bomber festgelegte Routen ab. Das Ziel war es, eine 24-Stunden-Bereitschaft der US-Atomstreitkräfte sicherzustellen. Im Fall eines nuklearen Angriffes durch die Sowjetunion sollten sie einen Vergeltungsschlag ausführen. Sie wurden in der Luft betankt, um ihre Reichweite und Flugdauer zu erhöhen. Jede Besatzung hatte festgelegte Ziele, die im Kriegsfall anzugreifen waren, und zu jeder Zeit befanden sich mehrere Bomber meist nicht mehr als zwei Flugstunden von sowjetischem Territorium entfernt. Drei Routen wurden im Rundkurs beflogen: nach Alaska, nach Grönland und über den Nordatlantik zum Mittelmeer. Bei den Routineflügen kam es zu zwei Abstürzen über Spanien (Palomares 1966) und Grönland (Thule Air Base 1968), bei denen erhebliche Mengen radioaktive Substanzen freigesetzt wurden. Im Jahre 1968 wurde die Operation eingestellt, da die US-Streitkräfte durch die Land- und U-Boot-gestützten Interkontinentalraketen über strategische Alternativen verfügten.

Erste Dekontamination

Als am 17. Januar 1966 bei einem Routinemanöver der B-52G-Bomber mit einem Tankflugzeug kollidierte, brannte der Himmel über Palomares in der Provinz Almería. Der abstürzende Bomber hatte vier Wasserstoffbomben geladen, die zusammen die 5.000-fache Sprengkraft von Hiroshima ausmachten. Bei einer Detonation wäre im Umkreis von 1.000 Kilometern zwischen Paris und Lissabon bis heute alles verstrahlt. Zwei Bomben landeten unbeschädigt im Meer und auf dem Festland, die beiden anderen prallten auf den steinigen Boden von Palomares, weil ihre Sicherheitsfallschirme verbrannt waren. Der Schutzmantel zerbarst, pulverisiertes Plutonium trat aus. Später sollte, in einem Abschlussbericht aus dem Jahre 1975, das US-Verteidigungsministerium festhalten, dass der an dem Unfalltag herrschende Wind plutoniumhaltigen Staub aufgewirbelt hat und dass „das ganze Ausmaß der Verbreitung nie in Erfahrung zu bringen sei“.

Die Dekontaminations-Maßnahmen sahen damals vor, den Erdboden mit einer Strahlungsintensität von über 32 Mikrocurie pro Quadratmeter, 6 Zentimeter tief abzutragen. So wurden 2,2 Hektar Erde von den Amerikanern in 4900 Fässer gefüllt und auf eine US-Atomdeponie am Savannah River abtransportiert. 224 Hektar Land, welches schwächer kontaminiert war, wurde mit Wasser besprengt, 30 Zentimeter tief umgepflügt und noch einmal gewässert, damit sich das Plutonium gleichmäßig verteilte.

Als schließlich nach langem, kostspieligem Suchen die vierte Bombe am 7. April 1966 heil, aus einer Meerestiefe von rund 900 Metern geborgen worden konnte, erklärten die Amerikaner die Säuberung für beendet. Vor geladenen Journalisten badete Francos Touristen- und Propagandaminister Fraga Iribarne mit dem damaligen US-Botschafter Angier Biddle Duke im Meer. Die Schau diente zur Beruhigung der Bevölkerung und Verharmlosung der Schadstoffbelastung. Zudem sollte keine anti-amerikanische Meinungsbildung in der Bevölkerung aufkommen und das Bündnis zwischen den USA und Spanien aufrechterhalten bleiben.

In Folge der Dekontamination wurden die Nahrungsmittel auf den Feldern de Landwirte vernichtet, wenn die Werte zwischen 100.000 und 7.000 CPM anzeigten. Für den entstandenen Ernteausfall bekamen die Bauern und Fischer von der US-Regierung eine Abfindung von 51 Millionen Peseten (ca. 300.000 Euro). Ausbezahlt wurden ihnen jedoch nur 17 Millionen (ca. 100.000 Euro), der Rest versickerte auf dem Behördenweg.

US-Wissenschaftler untersuchten das Vieh und die erste Ernte nach dem Unfall, sie stellten jedoch nur an der Schale der Gerste und an den Blättern der Tomaten angeblich ungefährliche Plutoniumspuren fest. So wurde das Obst und Gemüse unbeanstandet geerntet und teilweise auch in die EU exportiert.

Zwischen 1977 und 1980 rodeten die Bauern plötzlich nur noch Brachland. Die spanische Atomenergie-Kommission stellte ein Ansteigen der Plutoniumwerte fest, welche den gesetzlichen Grenzwert um ein Vielfaches überstieg. Da der Boden immer noch Plutoniumstaub enthielt, der bei den Erdarbeiten aufgewirbelt wurde. Alle Untersuchungsergebnisse des Unfalls wurden der Öffentlichkeit und den Bewohnern vorenthalten und von den Franco-Behörden als Staatsgeheimnis deklariert. Die chemische Zusammensetzung des Waffenplutoniums der Amerikaner war der strikten Geheimhaltung unterlegt.

Leben mit der Radioaktivität

An dem Tag des Absturzes lösten die Amerikaner den für schwere Nuklear-Unfälle vorgesehenen Alarmplan „Broken Arrow“ aus. Zehn US-Kriegsschiffe kreuzten vor Palomares, 300 Soldaten und Wissenschaftler in Schutzanzügen leiteten die Dekontamination ein. Die 1200 Bewohner wurden von den Amerikanern angehalten ihre Kleidung zu verbrennen, ordentlich zu duschen, ihr Vieh zu waschen und Urinproben abzugeben. Obwohl 20 Kilogramm Plutoniumstaub Palomares verseuchten, wurden die Bürger nicht evakuiert. Über die Folgen der radioaktiven Verseuchung für die Bevölkerung, das Ackerland und Vieh wurde nicht aufgeklärt.

Bis heute wird die Verstrahlung Palomares und ihre Folgen hinter verschlossenen Türen verhandelt. Das Ausmaß der Krebserkrankungen in Verbindung mit den Folgen des Unfalls wird nicht bekannt gegeben. Einmal im Jahr werden den Bewohnern Blut und Urin abgenommen und auf Plutoniumspuren getestet. Die Ergebnisse der US-finanzierten medizinischen Langzeitstudien über die Bevölkerung sind nach wie vor unter Verschluss. Lediglich eine Kurzfassung der Untersuchungsberichte wurde den Bürgern 1985 ausgehändigt, der Einblick in ihre klinischen Akten jedoch verwehrt. Isabel Sanchez aus Palomares fühlt sich betrogen und ausgenutzt: „Uns wurde immer nur gesagt, wir seien gesund und alles sei in bester Ordnung. Ich fühle mich aber wie ein Versuchskaninchen.“ Die zweifache Mutter fordert Einsicht in die Gesundheitsdaten, die von ihr und ihrer Familie über Jahre gesammelt wurden.

Dabei steht Palomares als Langzeitexperiment im Zentrum der epidemiologischen Wissenschaft, um die Auswirkungen der radioaktiven Belastung auf die Bevölkerung zu erforschen. Seit 1966 beteiligte sich das US-Energieministerium DOE (Department of Energy) mit jährlich 300.000 Dollar an den Kosten des ABC-Überwachungsprogramms Proyecto Indalo. Durchgeführt wurden die medizinischen und umweltrelevanten Untersuchungen in der landwirtschaftlich intensiv genutzten Region durch die spanische Energiebehörde CIEMAT (Centro de Investigaciones Energéticas y Medioambientales). Das Lawrence Livermore National Laboratory der Universität von Kalifornien, welches sich mit Nuklearunfällen und nationaler Sicherheit befasst, führte mehr als 200 epidemiologische Tests durch. Das Gefühl, wie ein Versuchskaninchen behandelt zu werden, kennen die Bewohner nur zu gut.

Die Provinz Almería weist tatsächlich, eine überdurchschnittlich hohe Krebsrate auf. Begründet wird dies von den Wissenschaftlern vor allem durch den Einsatz von Pestiziden in der großflächigen Landwirtschaft. Bei jedem neuen Krebsfall fürchtet die Bevölkerung jedoch einen Zusammenhang mit den Bomben aus dem Jahr 1966. Der Arzt Pedro Antonio Martinez Pinilla machte sich in den 80ern zur Aufgabe eine unabhängige Studie über den Zusammenhang von Sterberate und Krankheitsfällen in Palomares und Umgebung anzufertigen. Seinen Ergebnissen nach sei die Sterblichkeit infolge von Krebserkrankungen dreimal so hoch im Vergleich zum Nachbardorf, gab er damals bei einem Gespräch im Jahre 1998 mit Grünen-Aktivist José Javier Matamala an. 2011 wurde durch Wikileaks bekannt, dass die Bewohner von Palomares einer 20 Mal über dem Normalwert liegenden Strahlendosis ausgesetzt gewesen seien. Aus der Presse erfuhren 1.029 getestete Personen Einzelheiten zu den staatlichen Untersuchungen. Dabei offenbarte sich, dass bei 118 Personen Spuren radioaktiver Strahlung nachgewiesen wurde. Von den Wissenschaftlern erfuhren die Betroffenen lediglich, dass alles in Ordnung sei.

Mitte der 90er Jahren hatte sich, wie überall an der Küste Spaniens auch in Palomares der Bauboom für den Tourismus ausgebreitet und den radioaktiven Staub aufgewirbelt. Neben großen Hotelanlagen und Ferienhäusern spielen unwissende Urlauber Golf oder lassen am verstrahlten Strand die Seele baumeln. Zwischen den Hotels und Wohnhäusern liegen umzäunte Gebiete, die eine zu hohe Radioaktivität aufweisen, als dass darauf gebaut werden dürfte. Einzig der Straßenname „Calle de las Bombardas“ in Palomares erinnert an das Ereignis.

Offizieller „Broken Arrow“-Bericht der US-Air Force (1966)

Bericht des Atombombenkonstrukteurs S. V. Asselin über den Atomwaffenunfall (1966)

1 KOMMENTAR

  1. Unfassbar, dass sowas so lange geheim gehalten werden kann!

    Vielen Dank für die wirklich informative Berichterstattung (nicht nur dieses Artikels).

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